Arbeitgeberpflichten in Bezug auf Corona

Interview mit Rechtsanwalt Prof. Dr. Mark Lembke, Partner bei Greenfort, Frankfurt am Main am 1. Oktober 2020.

by Marc Gille

Thing-it: Herr Professor Lembke, die Corona-Pandemie dürfte Ihnen als Arbeitsrechtsexperten viel Arbeit beschert haben.

Lembke: Das ist wahr. Wir haben mit einer Vielzahl von Fragen zu Corona und dessen Folgen zu tun. Zu Beginn der Pandemie ging es vor allem darum, welche Beschränkungen in Deutschland in der Öffentlichkeit, in den Betrieben und bei Reisetätigkeiten bestehen. Im Lockdown stellten sich dann insbesondere Fragen zur Einführung von Kurzarbeit, gefolgt von der Gewährleistung von "Business Continuity", etwa durch Arbeitsformen wie Home Office oder mobiles Arbeiten, also Arbeiten von einem selbstgewählten Ort aus. Nun beschäftigt die Unternehmen angesichts sich ständig wandelnder Infektionszahlen im In- und Ausland, wie sich ein zweiter Lockdown vermeiden lässt und welche Pflichten die Unternehmen gegenüber ihren Mitarbeitern und Kunden haben, um diese vor Corona-Infektionen zu schützen.

Thing-it: Welche Pflichten haben die Arbeitgeber denn gegenüber ihren Mitarbeitern? Zum Allgemeingut gehören ja mittlerweile die Abstandsregel und das Tragen von Mund-Nasen-Schutz. Gilt das auch im Betrieb?

Lembke: Die Corona-Viren, welche die "COVID-19" genannte Atemwegserkrankung auslösen, werden vor allem durch Tröpfcheninfektion übertragen. Ansteckung findet also vorrangig über luftgetragene Tröpfchen (Aerosole) von Infizierten auf andere Menschen über die Schleimhäute von Mund, Nase und Augen statt. Aus dieser Überlegung ergibt sich die auch in Betrieben geltende Abstandsregel, wonach Mitarbeiter zu anderen Mitarbeitern oder Kunden mindestens 1,5 m Abstand halten sollten. Der Arbeitgeber hat die Büros entsprechend zu organisieren und das Mobiliar entsprechend anzuordnen. Zudem ist für ausreichende Lüftung zu sorgen, und die innerbetrieblichen Verkehrswege sind so zu organisieren, dass sich die Menschen nicht zusammenballen. Falls die Abstandsregel nicht eingehalten werden kann, ist für alternative Maßnahmen zu sorgen, wie Mund-Nasen-Bedeckung, Abtrennungen u.ä. Da eine Corona-Infektion auch über kontaminierte Oberflächen und Hände denkbar ist, besteht zudem die Pflicht der Arbeitgeber, für ausreichende Reinigung der Arbeitsplätze und Hygiene zu sorgen, also z.B. Seifen, Papierhandtücher und flüssiges Desinfektionsmittel zur Verfügung zu stellen.

Thing-it: Wo sind die Pflichten geregelt? Wo können Unternehmen nachlesen, was zu tun ist?

Lembke: Juristischer Ausgangspunkt ist die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Insoweit hieß es bereits 1896 – wie heute noch – in § 618 Abs. 1 BGB: "Der Dienstberechtigte hat Räume, Vorrichtungen oder Geräthschaften, die er zur Verrichtung der Dienste zu beschaffen hat, so einzurichten und zu unterhalten und Dienstleistungen, die unter seiner Anordnung oder seiner Leitung vorzunehmen sind, so zu regeln, daß der Verpflichtete gegen Gefahr für Leben und Gesundheit soweit geschützt ist, als die Natur der Dienstleistung es gestattet." – Kurz gesagt: Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen (§ 3 Abs. 1 Arbeitsschutzgesetz/ArbSchG). Dazu hat er im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung unter Beachtung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes in Bezug auf den jeweiligen Arbeitsplatz erforderlich sind. In Bezug auf die Corona-Pandemie sind Arbeitgeber gut beraten, den vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) erlassenen SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard vom 20.4.2020 (C-ASS) [1] zu beachten. Dieser legt fest, welche Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten vor dem Corona-Virus dem Stand von Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene sowie sonstigen gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen entsprechen. Er ist eine Art "Soft Law" und beschreibt die Maßnahmen, die der Arbeitgeber bei der Erstellung eines betrieblichen Maßnahmenkonzepts zu berücksichtigen hat. Darin finden sich auch die oben skizzierten Pflichten (Abstandsregel, Pflicht zu Reinigung und Hygiene, Gebot der Kontaktreduzierung etc.).

Thing-it: Daneben wurde am 20.8.2020 auch die sog. SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel der Arbeitsschutzausschüsse beim BMAS (C-ASR) veröffentlicht. Was hat es damit auf sich?

Lembke: Die C-ASR [2] konkretisiert auf der Grundlage des ArbSchG und der Arbeitsschutzverordnungen den Arbeitsschutzstandard C-ASS und enthält detaillierte Ausführungen zu den im Hinblick auf Corona im Betrieb vorzunehmenden Schutzmaßnahmen. Bei Einhaltung dieser Konkretisierungen kann der Arbeitgeber davon ausgehen, dass die Anforderungen aus den Verordnungen erfüllt sind. Je nach Branche können zudem noch Regelungen der gesetzlichen Unfallversicherungsträger zum Schutz vor Corona [3] relevant sein. Abgesehen davon sind gegebenenfalls auch die infektionsschutzrechtlichen Normen zu beachten, also insbesondere die einschlägigen Verordnungen der Länder auf Basis des Infektionsschutzgesetzes. Sie gelten zwar grundsätzlich für den öffentlichen Bereich, können aber mitunter auch Regelungen für Betriebe enthalten.

Thing-it: Welche Risiken bestehen für Unternehmen, wenn die geschilderten Arbeitsschutzmaßnahmen nicht eingehalten werden?

Lembke: Denkbar sind zivilrechtliche, öffentlich-rechtliche und strafrechtliche Konsequenzen. Zivilrechtlich besteht das Risiko einer Haftung des Arbeitgebers auf Schadensersatz, wenn ein Arbeitnehmer an COVID-19 erkrankt oder verstirbt, nachdem er im Betrieb tätig geworden ist. Da der Arbeitgeber allerdings für die Kosten der gesetzlichen Unfallversicherung nach dem SGB VII alleine aufkommt, enthält § 104 Abs. 1 SGB VII eine Haftungserleichterung für ihn: Danach sind Unternehmer ihren Beschäftigten sowie deren Angehörigen und Hinterbliebenen zum Ersatz des Personenschadens, den ein Versicherungsfall verursacht hat, "nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt haben". Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Zu Beginn der Corona-Pandemie hatten die Unfallversicherungsträger allerdings in Abrede gestellt, dass eine im Betrieb verursachte Corona-Erkrankung ein Arbeitsunfall sein kann, mit der Begründung, die Pandemie stelle eine unversicherte "Allgemeingefahr" dar. Diese Einschätzung hat sich mittlerweile geändert, allerdings in Abhängigkeit vom jeweiligen Infektionsgeschehen [4]. Sofern sich das Infektionsgeschehen also wieder ausweiten sollte, ist es denkbar, dass die Unfallversicherungsträger eine Corona-Infektion im Betrieb nicht als Arbeitsunfall anerkennen und dass die geschilderte Haftungsbegrenzung für Arbeitgeber nicht eingreift.

Thing-it: Und welche rechtlichen Risiken bestehen sonst noch?

Lembke: Gerade auch im Hinblick auf die Einhaltung von Corona-Schutzmaßnahmen können die für den Arbeitsschutz zuständigen Aufsichtsbehörden bei Unternehmen Informationen einholen, Betriebsstätten untersuchen und Maßnahmen anordnen. Dies kann bis hin zur Untersagung bestimmter Arbeiten bzw. der Verwendung oder den Betrieb bestimmter Arbeitsmittel gehen (vgl. § 22 ArbSchG). Die Zuwiderhandlung gegen eine Anordnung kann als Ordnungswidrigkeit (§ 25 Abs. 1 Nr. 2 ArbSchG) und im Falle beharrlicher Wiederholung sogar als Straftat (§ 26 Nr. 1 ArbSchG) sanktioniert werden. Falls Mitarbeiter erkranken oder gar versterben, kommen ferner Ermittlungen wegen fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 StGB) oder fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) gegen die Verantwortlichen in Betracht, wenn sie nicht die geschilderten Arbeitsschutzbestimmungen beachtet und umgesetzt haben.

Thing-it: Wie man allseits hört, hat die Corona-Pandemie einen erheblichen Digitalisierungsschub mit sich gebracht. Welche Rolle spielt nach Ihrer Einschätzung der Einsatz von IT-basierten Lösungen bei der Erfüllung der Arbeitgeberpflichten in Bezug auf Corona?

Lembke: Digitale Anwendungen spielen in der betrieblichen Praxis seit jeher ein große Rolle. Man denke nur an Arbeitszeiterfassung oder automatisierte Zugangskontrollen. All dies könnte man nun verfeinern, z.B. um die Kontaktdaten von Mitarbeitern und betriebsfremden Personen und den Zeitpunkt des Betretens/Verlassens des Betriebs elektronisch zu erfassen und um im Corona-Verdachtsfall die Nachverfolgung zu erleichtern. Weitere Anwendungsfälle sind die im C-ASS vorgesehene kontaktlose Fiebermessung, die IT-gesteuerte Organisation der Raumbelegung, Lüftung und Desinfektion von Räumen usw. Aus arbeitsrechtlicher Sicht stellen sich beim Einsatz derartiger digitaler Hilfsmittel freilich Fragen des Arbeitnehmerdatenschutzes und der Mitbestimmung des Betriebsrats, die es zu beachten gilt. Das Positive ist, dass eine mit dem Betriebsrat getroffene Betriebsvereinbarung gleichzeitig auch Rechtsgrundlage für eine Datenverarbeitung beim Einsatz von IT-Lösungen sein kann (vgl. § 26 IV BDSG, Art. 88 DSGVO). Insoweit greifen Datenschutz und Betriebsverfassungsrecht ineinander, und es lohnt es sich, wenn sich die Betriebsparteien auf gute Lösungen verständigen.

Thing-it: Gibt es eigentlich bereits gerichtliche Entscheidungen zu Corona-Maßnahmen von Unternehmen?

Lembke: Ja, diverse. Wir hatten z.B. kürzlich ein Unternehmen erfolgreich in einem einstweiligen Verfügungsverfahren vertreten, in dem sich der Betriebsrat – aus unerfindlichen Gründen – gegen die vom Arbeitgeber angebotene Möglichkeit stellte, auf freiwilliger Basis mobil zu arbeiten. Interessant ist auch ein Beschluss des Arbeitsgerichts Wesel vom 24.4.2020 (Az. 2 BVGa 4/20). Dort wurde entschieden, dass der Betriebsrat wegen Verletzung seiner Mitbestimmungsrechte nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 und 7 BetrVG einen Unterlassungsanspruch gegen den Arbeitgeber hat, wenn der Arbeitgeber ohne Zustimmung des Betriebsrats die bei ihm auf Grund einer Betriebsvereinbarung installierten Überwachungskameras nunmehr auch zu dem Zweck nutzt, die Einhaltung der Corona-Abstandsregelungen durch die Arbeitnehmer zu überwachen.

Thing-it: Dies zeigt, dass der Umgang mit dem Betriebsrat sehr wichtig ist. Auf was kommt es dabei nach Ihrer Erfahrung an?

Lembke: Betriebsräte sind erfahrungsgemäß offen für sinnvolle Lösungen, die das Arbeitsleben erleichtern und die kosteneffizient sind. Soweit die Interessen der Arbeitnehmer betroffen sind, wollen sie aber im Detail verstehen, wie eingesetzten IT-Lösungen funktionieren und ob es gegebenenfalls gleich geeignete Mittel gibt, die eine geringere Beeinträchtigung mit sich bringen. Dies erfordert mitunter, dass der IT-Dienstleister bei den Verhandlungen mit dabei ist und sein Produkt präsentiert und erklärt. Das schafft Transparenz und Vertrauen.

Thing-it: Herr Professor Lembke, ganz herzlichen Dank für dieses interessante Gespräch.

Referenzen

Abrufbar unter https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Schwerpunkte/sars-cov-2-arbeitsschutzstandard.pdf?__blob=publicationFile&v=1.

Abrufbar unter https://www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Regelwerk/AR-CoV-2/pdf/AR-CoV-2.pdf?__blob=publicationFile&v=6.

Abrufbar unter https://www.dguv.de/de/praevention/corona/informationen-fuer-beschaeftigte/index.jsp.

Vgl. https://www.dguv.de/landesverbaende/de/medien/faq/aktuelles_corona_dav/index.jsp.

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